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Auflage: 4700 ~ ~ VERLAG SCHERL * BERLIN SW 68 Z* 23. Jahrgang Berlin, den 11. Febrnar 192» Nummer 35 Lulu mit und ohne Wedekind Vertrauensvotum für Hein Wie nicht anders zu erwarten war, hat der Berliner Vcr- band seinem Vorsitzenden Herrn W. Hein wegen des be¬ kannten Vorfalls in der Dclcgicrlcnvcrsammlun.; des Reichs- verbande» sein volles Vertrauen ausgesprochen. Man teilt uns offiziell mit: „Der Vorstand des Verbandes der Lichtspieltheater Berlin- Brandenburg e. V. billigt die Handlungsweise '-s Delegier¬ ten, Herrn Hein, in der Delegicrtcnvcrsammlung des Reichs- verbandes deutscher Licht spiel theaterbesitzer e. V. vom 7. Februar ds. Js. und spricht ihm sein »olles Vertrauen Wie wir schon vor einigen Tagen ausfuhrten, sind wir in der Sache selbst mit Herrn Hein durchaus einig. Wir halten nur die Form für verfehlt, in der er ciese Forderung verbrachte, und sehen taktisch keinen hlu.jen Zug darin, eine Angelegenheit zu einer Kardinalfrage zu machen, die sich im April auf der General Versammlung auf friedlichem Wege glatt halte rcicln lassen. Besonders ein Führer soll nicht mit dem Kopf durch die Wand rennen. Wir brauchen an der Spitze Persönlich¬ keiten, die Gegensätze ausglcichcn und die es verstehen, . auch ans Ziel zu kommen, ohne mit der Faust auf den Tisch zu schlagen. Im übrigen scheint uns auch wesentlich, was die einzelnen Landesverbände zu den speziellen Fällen zu sagen haben. ' Man muQ unter gewissen Voraussetzungen alle Geschichten auch einmal begraben. Am Sonnabend erlebte Wede- kinds „Büchse der Pandora" ihre Uraufführung. Das heiOt, genau genommen ist cs gar nicht ganz Wedekind, sondern nur in der ersten Hälfte. Es rollt nämlich zuerst der¬ jenige Teil der bekannten Tra¬ gödie ab, der uns von dem Dich¬ ter in „Erdgeist" geschildert wurde. Dann folgt ein Scnsa- tions- und Defekt ivschauspicl, sicherlich nach Wedekind sehen Motiven, aber mit Recht ganz auf die Bedürfnisse des Film¬ spielplans eingestellt. Den Dr. Schön, der den ersten Teil beherrscht, spielt Fritz Korincr, eine ausgezeichnete Leistung, weit über dem, was dieser groQc ßühnenschauspiclcr sonst gibt. Für uns vom Film¬ standpunk! aus besonders inter¬ essant, weil endlich entweder der Schauspieler oder der Re¬ gisseur die Mittel gefunden hat. das grolle Talent in filmische Ausdrucksformen zu zwingen. Neben diesem Mcnschengcstal- tcr von Rang verblaßt die Lulu. Rein äußerlich bringt Louise Brooks manches mit, was zu diever Rolle paßt. Aber es fehlt das Letzte, das Faszinie¬ rende, das Überzeugende. Es ist von Asta Nielsen — um nur ein Beispiel zu nennen — zu l-ouisc Brooks genau so weit wie von Berlin nach Hollywood. Aber schließlich hängt ja der Film nicht so an der Lulu wie das Bühnenstück. Man bcgnügi sich damit, eine hübsche Frau zu sehen, die beinahe ängstlich bemüht ist, nirgends starke Mo¬ mente zu zeigen, und hält sich neben Kortner an die Darsteller der anderen männlichen Rollen, die durchweg Erfreuliches bieten. Da ist der alte Carl Goetz. ein Name von gutem Klang. Von der allen Hofburg in Wien Der einen Schigolch hinstcllt. der selbst da noch höchste künstlerische Qualität zeigt, wo das Manuskript in Londoner Nebel, Falschspicl, Mord und Totschlag untergehl. Erfreulich auch der Rodrigo Quast des jungen Krafl-Raschig: erfreulich, weil an dieser Figur besonders die Delikatesse sicht¬ bar wird, mit der G. W Pabst den schwierigen Stoff behandelt. Der Ringkämpfer mit dem Tri¬ kot und den gewaltigen Mus¬ keln, der uns von der Bühne her in der Erinnerung ist, mußte einem immerhin um einig* hundert Prozent zivili¬ sierten Trapezkünstler weichen, genau so wie die Gräfin Gcsch- witz zwar den Stich ins Per¬ verse behält, aber immerhin ma¬ nierlicher wirk! als im Buch und auf der Bühne. Vielleicht ist das ein besonde¬ res Verdienst Ladislaus Vajdas. der uns — wie ausdrücklich be¬ merkt wird — nicht die ver¬ filmte „Büchse der Pandora" geben wollte, sondern Variatio¬ nen über ein Wedekindsches l'icitia. wobei zu bemerken ist, daß Vai'Ja vielleicht die letzte, cntscheiiende Arbeit geliefert hai, wehrend viele von denen, div mit und darum herum wir¬ ken. an der Manuskriptarbeit maßgebend beteiligt waren. Man verrät kein Geheimnis, wenr man schreibt, daß Kortner der Vater dieser Verfilmungs- idec war. daß Direktor Gold¬ schmidt von der Südfilm an der Gestaltung der Titel sich wesent¬ lich beledigte, und daß der Pro. du-tionslciter llorsclzki insofern gerannt werden muß, als er um gewisse technische Voraussetzun¬ gen genau so kämpfte u ic Dr. Schön mit der Lulu. Es handelt sich, wie zusam¬ men fassend festgestellt werden imili, um ein Filmwerk mit Am¬ bition. Ein Bildspicl. das weit über dem Durchschnitt steht, das in seinem ersten Teil — auch von höheren Gesichtspunk¬ ten aus — vollkommen ist. und dem man aus berechtigten kom¬ merziellen Gründen in den letz¬ ten Akten einen Schuß Detek¬ tiv- und Sensationsroman bet- bringt, um auch die Kreise voll zu befriedigen, denen der Name Wedekind Schall, und das Pro¬ blem, um das cs dem Dichter ging. Rauch ist. Vorzüglich die Photogripbic Günther Krampfs, ausgezeich¬ net ein paar selten gelungene Londoner Nebelaulnahmen. Stilccht und wirkungsvoll die Bauten Andrejefls und Hcschs. und besonders rühmenswert die Musik, die Schmidt-Gentner zu dem Film im Gloria-Palast Rühmenswert deswegen, weil die musikalische Illustration des Werkes nicht leicht war. schwie¬ rigste Anforderungen stellt, dt* Schmidt-Gentner virtuos löste.