Der Kinematograph (January 1930)

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■das Fiteste VILM-FACH BUTT **2*~i- VERLAG SCHERL * BERLIN SW 68 Berlin, den 1. Januar 1930 Revolte im Erziehungshaus Nun ist die „Revolte im Erziehungshaus" in der end¬ lich genehmigten Fassung in einer Nachtvostellung an uns vorübergezogen. Man ver¬ steht selbst heute noch, wo fünf- oder sechshundert Me¬ te- • on der Originalfassung fehlen warum dieses Bild so heißumstritten war. und man fragt sich wieder — wie vor¬ ab - u bemerken ist — ob es un redingt notwendig ist. einen derartig umstrittenen Stofi zur Grundlage eines Filnidramas zu machen. Rein filmisch handelt es situ um ein ausgezeichnet gemachtes, glanzend photo- giaphiertes und gut gcspicl »e Werk. Es ist zweifellos, regie- teci , isch gesehen, die voll¬ endetste Leistung Georg Asagaroffs der bemüht war. so etwas wie einen eigenen Filmstil zu begründen. Nicht nur Handlung und Darsteller, sondern auch das Bild an sich sprechen zu lassen. Artistisch sicherlich eine Leistung weit über dem Durchschnitt. So etwas wie ein Spitzenwerk, das vom fachlichen Standpunkt aus auch deswegen besonders angenehm berührt, weil es anscheinend künstlerische Ambition mit kaufmänni¬ scher Ökonomie verknüpft und damit die Kardinalforde¬ rung des Augenblicks erfüllt. Aber der Inhalt. Es han¬ delt sich nicht um das Pro¬ blem der Jugenderziehung, und es handelt sich noch nicht einmal um den ehr¬ lichen Protest gegen einen tatsächlich vorhandenen Übel¬ stand, sondern um ein Ten¬ denzwerk, dessen Schuld allerdings nicht bei den Film¬ leuten, sondern beim Ur¬ sprungsverfasser, bei Peter i lartin Lampel, liegt. Auf der Bühne ist die An¬ gelegenheit noch einiger¬ maßen auch für den erträg¬ lich. der nicht ganz der An sicht Lampels ist. Dei Film zeigt all diese Dinge noch revolutionärer. Wühlt die Leidenschaften noch stärker auf. was sich auch bei der Premiere zeigte, wo es, je nach der persönlichen Ein¬ stellung. stärksten Beifall oder pfeifende Mißbilligung gab. Im Film sieht man vieles plastischer, als auf der Bühne, aber man erreicht dadurch, daß die Handlung an sich in psychologischer Beziehung noch verlogener wird Wo gibt es heute ein Ju¬ gendgericht, das einen jungen Menschen, der ständig ge¬ arbeitet hat. in die Besse¬ rungsanstalt schickt, weil er seinem Meister ein Paar Stiefel stahl, die er der Mut¬ ter gibt, weil sie nichts mehr anzuziehen hat? Wo gibt es heute noch eine Besserungsanstalt gro¬ ßen Stils, in der der An¬ staltsleiter die Verpflegung sozusagen auf eigene Kosten gegen eine Pauschgehühr zu leisten hat? Das sind nur ein paar Bei¬ spiele, die sich beliebig ver¬ mehren lassen. Genau so wie der Schluß des Ganzen von federn, der sich auch nur oberflächlich mit diesen Dingen beschäftigt, als lebens¬ unwahr abgelehnt werden muß. — Man wird nicht mit Unrecht einwenden, daß die Lebenswahrheit auch in an¬ deren Films abseits dieses Themas oft nicht gewahrt wird. Daß man eigentlich heim Filmdrama überhaupt nicht so unbedingt auf Re¬ alität bestehen dürfe. Man .könnte auch „dichte¬ rische Freiheit" in den Vor dergrund rücken. Aber ge¬ rade in diesem Fall ohne jede Berechtigung, weil es sich um eine Aufpeitschung gewisser Instinkte handelt, die vom Standpunkt der heu¬ tigen Staates und der heuti¬ gen Gesellschaftsordnung aus absolut unangebracht ist. Es sei hier, in einem Fach¬ blatt besonders bemerkt, daf! das kein Vorwurf für den Verleiher sein soll, und daf! es sich hier schließlich um Weltanschauungsfragcn handelt, die jeder Theater¬ besitzer von sich aus ent¬ scheiden muß. und die schlie߬ lich — genau besehen — für jeder Platz in ihrer W'irkung anders liegen. Beim Beginn der Premiere sah man neben anderen Pro¬ minenten den preußischen Innenminister, der sich nun vielleicht selbst davon hat überzeugen können, wie der¬ artige Bilder im Kino wir» ken, wenn der Parteien Gunst und Haß auf sie los¬ gelassen wird. Denn das muß aus Grün¬ den der Gerechtigkeit auch festgestelit werden: daß bei der Premiere die „Parteien" besonders stark vertreten waren, und daß Beifall oder Mißfallen hier nicht nur dem Werk, sondern auch der Ten¬ denz galten. Asagaroff und seine Schau¬ spieler von denen in erster Linie Renate Müller. Oskar Homolka. Wolfgang Zilzer, Karl Ballhaus. Vera Bara' nowskaja, Toni van Eick. Ilse Stobrawa zu nennen sind, konnten sich immer wieder für den starken Bei¬ fall bedanken, dessen Her¬ kunft dadurch deutlich wurde, daß man immer nach Peter Martin Lampel schrie, der eigentlich an dieser neuen Formulierung weniger Anteil hat als W. Solsky und Herbert Rosenfeld. Ausgezeichnet die Photo¬ graphie. gut die Bauten. Ein interessantes Werk, das sicher vielumstritten und vielumkämpft werden wird.