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So bekämpft man nicht die Zensur (Eine verfehlte Rundhink-Diskussion zwischen Ministerialrat Dr. Seeger und Herbert Ihering) Die Berliner Funkstunde halte aus dem richtigen Ge¬ fühl heraus, daß eine Diskus¬ sion über die Filmzensur ge¬ rade in diesen Tagen beson¬ ders aktuell und populär sei. den Leiter der b'ilmoberprüf- stelle, Ministerialrat Dr. See- ger. und Herbert Jhering. eine führende Persönlichkeit des Kampfausschusses gegen die Zensur, zu einer Aus¬ sprache vor das Mikrophon gebeten. Man sah auch in Filmkrei¬ sen dieser Auseinander¬ setzung mit großem Interesse entgegen, weil auch bei denen, die an sich aus Zweckmäßig¬ keitsgründen im Augenblick noch für eine Zensur ein- treten, manchmal hier und da das Gefühl aufgestiegen ist, daß man bei dieser oder jener Entscheidung ruhig hätte et¬ was weitherziger sein können. Vor allem aber erwartete man von dieser Aussprache eine Auseinandersetzung über das Verbot des Remarque- Films, weil hier ja der eigent¬ liche Anlaß zu der ganzen Veranstaltung zu suchen ist. Nach dieser Richtung hin wurden die Erwartungen reichlich enttäuscht. Jhering sprach sehr viel über poli¬ tische Zensur, behauptete, daß die Fiimprüfung ständig ein Ausdruck der politischen Machtverhältnisse sei, daß sie sich vom Gedanken eines kollektiven Mitbestimmungs¬ rechtes des Staates und Vol¬ kes zu einer behördlichen obrigkeitlichen Beamten-In- stitution entwickelt habe. Er behauptete dann weiter, daß die Filmzensur das wirk¬ lich künstlerische Schaffen lähme, und sagte wörtlich, daß die Filmproduktion durch das Filmgesetz einge¬ schränkt werde, weil sie wisse, daß gewagte Experi¬ mente verboten würden. Leider ist Ministerialrat Dr. Seeger auf diese Frage vom gewagten Experiment nicht eingegangen, vielleicht weil ihm die industriellen Gedankengängc. die sich an diesen Einwand anknüpften, nicht lagen, oder weil er schließlich nicht für die In¬ dustrie, sondern für den Staat Man hätte Herrn Ihering sagen müssen, daß die Film¬ industrie selbst von gewagten Experimenten nichts wissen will und daß sie gerade im Augenblick weder Zeit noch Geld für Wagnisse oder Ex¬ perimente hat. sondern genug damit zu schaffen haben wird, zunächst einmal für eine Sta¬ bilisierung des deutschen Films zu sorgen. Es war überhaupt interes¬ sant, zu sehen, wie wenig Ihe¬ ring das Gesetz, über das er diskutierte in seinen einzel¬ nen Bestimmungen und in seiner f Taktischen Anwen¬ dung kernt. Man tatte immer wieder den Eindruck, daß er sich für eine Sache mit allem Nachdruck einsetzt, die er eigentlich nicht so gründlich kennt, wie man das von einem Kämpfer erwarten kann. Es wa- amüsant. Herrn Ihering als den Verteidiger der Industrie zu sehen. Jener aber, die er sonst gerade dann bekämpft, wenn sie An¬ spruch darauf erhebt, daß auf die industriellen Eigenschaf¬ ten Rücksicht genommen wer¬ den muß. Er mußte sich sagen lassen, daß eine Politisierung der Entscheidungen der Film¬ prüfstelle im Einzelfall von Haus aus unmöglich ist, weil die Beisitzer bereits im vor¬ aus, ohne daß man weiß, wel¬ cher Film zur Verhandlung gelangt, durch das Los be¬ stimmt werden. Vielleicht wäre es gut ge¬ wesen, wenn er sich diese In¬ formationei.' schon geholt hätte, ehe er im Kampfe um Remarque Stellung genom¬ men hätte, weil dann manches Wort aus den Kreisen des Herrn Ihering und seiner Freunde nicht gefallen wäre, das indirekt zum Aus¬ schluß der Presse gerade in diesen Tagen geführt hat. Seeger war in den ersten dreißig Minuten absolut in der Lage, jeden Einwurf Ihcrings mit sachlichen Ar¬ gumenten zu widerlegen. Jedenfalls entstand dieser Eindruck bei dem objektiven Hörer, der vom Filmstand¬ punkt aus gern manche praktische Forderung ein¬ gehender besprochen gehört hätte. ( Für den filmischen Beob¬ achter dieser ziemlich aka¬ demischen Auseinanderset¬ zung war von Bedeutung, daß Seeger als Leiter der Filtn- Oberprüfstelle ausführ ,e, daß er mit dem augenblicklich geltenden Gesetz curcn&us zurecht komme und daß er bei neuen gesetzgeberischen Maßnahmen lediglich die Punkte gern geklärt sehe, bei denen sich in zehn i hriger Praxis gewisse Zweifel her¬ ausgestellt hätten. Vor allen Dingen hörte man aus Seegers Worten heraus, daß er ein entschie¬ dener Gegner einer Erweite¬ rung der ortspolizeilichen Rechte sei. Er wünscht — und er glaubt, daß das ir dem augenblicklichen Entwurf ge¬ schehen sei —, daß das poli¬ zeiliche Verbot in ganz be¬ stimmten Grenzen und Re¬ geln gehalten werde, die jede Willkür ausschließen. Es wird auf die Diskussion im einzelnen vielleicht noch einmal zurückzukommen sein. Sie klang aus in die Forde¬ rung lherings, vielleicht ein¬ mal die Zensur für die Dauer eines Jahres aufzuheben, weil dann Deutschlands Filmindustrie aufblühen wür¬ de und Kritik und öffentliche Meinung schon dafür sorgen würden, daß der Schund ent¬ fernt werde. So sehr wir an sich für eine Aufhebung der Zensur sein würden, so wenig glauben wir, daß es irgendeinen Zweck hat, derartige Forderungen öffentlich zu erheben, weil sie keinerlei Aussicht auf be¬ folg haben. Die Presse und die Kritik wettern schon jahrelang ge¬ gen Schmutz und Schund in Wort und Bild. Hier haben das muß man in diesem Zusammen¬ hang offen zugestehen alle Pressearbeit und alle Schritte großer und mächtiger Ver¬ bände nichts genützt, weil es immer Außenseiter gibt, die, gestützt auf freiheitliche Bestimmungen, ihre Geschäfte im Dunkeln machen. Solche Leute gehören \vc det heim Buchhanc el. noch beim Theater oder Film zu den seriösen, orga lisierten. eigentlichen Kreisen jener Berufsgruppen. Sie benutzen den guten Namen der anderen, um ihre trüben Geschäftchen zu ma¬ chen, und diskreditieren schließlich die Literatur, die Kunst, die Bühne und den Film. Darum haben wir, viel¬ leicht auch aus anderen Gründen, die im Augenblick hier nicht aufgeführt werden sollen, ein gewisses Interesse an der Zensur, die wir aller¬ dings verständnisvoll, gro߬ zügig und weitherzig wiin- Man soll sich, das muß in diesem Zusammenhang auch betont werden, nur nicht allzu sehr gerade in diesem Punkt den Kopf der Film¬ industrie zerbrechen und nicht ausgerechnet da mit lauter Emphase für sie cin- treten, wo sie sich sehr gut selbst helfen kann. Genau so wichtig wie ver¬ ständnisvolle Zensur ist ver¬ ständnisvolle Kritik, eine Kritik, die nicht theoretische Forderungen aufstcllt. son¬ dern sich auf den Boden der praktischen Notwendigkeiten stellt. Darüber sollte Herr Ihe¬ ring vielleicht einmal mit einem führenden Produzen¬ ten diskutieren. Er könnte vieles daraus lernen, falls er nicht von Haus aus unbe¬ lehrbar ,st.