Der Kinematograph (January 1932)

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GESTERN und MORGEN Ein G r a I u I a ♦ i o n s b r i e f von KARL GORDON I ch schreibe nicht gern Ju- hiläunixartikel. Nur das Objekt kann jubilieren. Dem schreibenden Subjekt ist der Jubiläumswein gemischt mit dein Wermutstrupfen der Vergänglichkeit. Es ist so wie beim Wiedersehen mit Leu¬ ten, die man zuletzt als Kin¬ der sah. Man konstatiert ihre Veränderung, man gibt seiner grollen Freude Aus¬ druck darüber, wie prächtig sich die Jugend entwickelt hat, und unausgesprochen, aber deutlich und unmißver¬ ständlich gedacht, bleibt die Feststellung, daß auch wir uns verändert haben und daß wir uns im gleichen Ver¬ hältnis, vom Märzcnfrühling entfernten, als die Jugend hineingewachsen ist. Das habe ich auch Aros geant¬ wortet, der mich ersuchte. über das Kino von gestern und morgen zu schreiben. Ich liebe das Gestern nicht, es nimmt unsere Zeit zu sehr in Anspruch und benebelt unseren Blick für die Aus¬ sicht auf das Heute und Mor¬ sen. Das W'orl „gestern" dürfte im Wörterbuch der Sachlichkeit nicht figurieren. Sachlichkeit ist die Einstel¬ lung auf das Allernutwen- digstc Sachlichkeit ist eine Phase im Kampf ums Dasein, der uns in der mörderischen Gegenwart keine Zeit mehr läßt für Arabesken, der uns nicht mehr die Luft gönnt, um das Lavendel der Ver¬ gangenheit zu atmen. Sach¬ lichkeit ist Konzentration auf die P'ordcrung der Gegen¬ wart zur Eroberung ar*d Be¬ hauptung des heutigen und morgigen Tages. Und doch wollen wir heute von 25 Jahren spre¬ chen, die hinter uns lie¬ gen, von 25 Jahren, die den Jüngling „Kintmalo- graph" heran wachsen ließen zum Mann. „Es ist ein groß" Ergetzen, sich in den Geist der Zeiten zu versetzen ", das ist eine Viertelstunde des Gedenkens, die wir auch heute trotz der Sachlichkeit des Alltags noch gebrauchen können. Unsere Gedanken schweifen zurück nach 190b. Ich selbst habe die Geburts¬ stunde des „Kinematograph" innerhalb der Filmindustrie noch nicht erlebt, aber aus der Ferne habe ich die ersten Flügelschläge der jungen In¬ dustrie wahrgenommen. Das Rheinland war stets auf dem Posten, wo cs galt Neues zu schaffen und durch¬ zuführen (siehe Tacitus), und auch der jungen Kinemato¬ graphie waren die westdeut¬ schen Provinzen tatkräftige Förderer. Düsseldorf und Köln waren bald der Mittel¬ punkt alles dessen, was sich für den Film interessierte. Im Düsseldorfer Apollo- Theater war für mich schon in der frühesten Frühzeit des Films die letzte Programm- nummer „Der Kosmograph mit neuer Bilderserie" die Spitze des Programms. Ich entsinne mich noch recht ge¬ nau, daß als erstes dieser Bilder ein deutsches Kriegs¬ schiff gezeigt wurde, dessen Vorführung das Publikum in gewaltig** Aufregung ver¬ setzte. Man wußte :m ersten Moment nicht, welchen Ur¬ sprung diese unverkennbare Sensation hatte, aber Leute mit guten Augen stellten sehr bald fest, daß die Flagge des Kriegsschiffes sich im Winde bewegte. Und nach wenigen Sekunden wuchs die Bewe¬ gung des vollbesetzten Hau¬ ses ins Une-ineßliche: man sah auf dem Deck des Kriegs¬ schiffes ma-schicrcndc und exerzierende Matrosen. Das Kriegsschiff mit der weher¬ den Fahne war für noch der erste Eindruck, den ich von der Kinematographie emp¬ fing. Von diesem Tag an habe ich das Variete meiner Heimatstadt nur besucht, u.n den „Kosmograph mit neuer Bilderserie zu sehen. Ein¬ mal war cs die Ncw-Yorker Feuerwehr bei ihren Manö¬ vern, dann waren cs Bilder vom Potsdamer Platz, und jedesmal stand ich auch bei den lustigsten Milieus er¬ schüttert vor den Offenba¬ rungen einer Technik (an Kunst war natürlich nicht zu denken!, die auch damals schon das laienhafte Inter¬ esse weiter Kreise stark in Anspruch nahm. Bald sprengte der Film die Kette, die ihn als Füllnummer mit dem Varieteprogramm ver¬ band. Der Film machte sich selbständig, er etablierte sich in leeren Ladenlokalen, er überflutete die Großstädte und schuf den Genre Ver¬ gnügungslokale, der schon sehr bald von den Berlinern kurz und bündig mit Kintopp bezeichnet wurde. Den Riesenschritt der Ent¬ wicklung vom 100-Personen- Theater bis zum Lichtspiel¬ palast haben wir noch alle miterlebt. Deshalb soll es genügen, wenn wir statt des langen Weges nur einiger Meilensteine auf ihm ge¬ denken. Im Anfang war das YS trili Filmt Chaos, bestehend aus Max Linder. Le Pnnce, Toniolini. Nick Winter, dann Pathe mit „Ermordung des Herzogs von Guise", „Die Hand" (Charlotte Wiehe). „Die Blutspur" (Mistinguette und Severin). Und dann weiter das erste Aufleuchten der Nordischen mit der „Weißen Sklavin". Und wie ein Me¬ teor Asta Nielsens Debüt in „Abgründe". Sieben Wochen lang saß man in der ausver¬ kauften, quetschenden Enge des Düsseldorfer Palast-The¬ aters und sah atemlos Asta Nielsens „Gauchotanz". Und dann war noch etwas in die¬ sem Film, das ihn in Düs¬ seldorf zum Tagesgespräch machte. Asta Nielsen erlebte ihre erste große Bekannt¬ schaft auf der Plattform einer Kopcnhagener Tram¬ bahn. Von Mund zu Mund ging die sensationelle Nach¬ richt. daß eine rientig- gcherce Tramhahn über die Bühne fahre. Das war der erste große Auftakt der Ent¬ fesselung der allzu bretter- ncr. Bühne. Sichen Wochen lang saß Düsseldorf vor itcbend SKLADANOWSK