Der Kinematograph (February 1910)

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No. 162. Der Kinematograph — Düsseldorf. Lichtbild-Theater und Politik. Von Gustav Melcher. Ik Wie Handel und Industrie im allg«»m->inen den Frieden »wischen den Völkern brauchen und festigen, wie der Warenverkehr in der Regel auf friedlich« 1 Beziehungen zwischen den Völkern angewiesen ist un l wie jeder inter¬ nationale Verkehr dazu lx'i tragt den internationalen Frieden zu sichern. so ist auch der Handel mit Erzeugnissen der Film- um! Kinematographenbranche ein Feind des Kri«-ges und ohne bewusste Politik wird er dazu beitragen, dass der Gedanke des Weltfriedens und «1er innigeren Verbindung der Völker «-ine reale Basis erhält. Das Bild findet, wie «las Musikwerk, leicht eine inter¬ nationale Verbreitung. Die Sprache der Sinne ist die eigentliche Sprache der Lebewesen und auch der Menschen und sie kennt keine Sprachgrenzen. Die Marseillaise hat in ihrer Melodie wie alle Musik, keine Tendenz. Erst die W«*rtsprache. der Text der Marseillaise bestimmt ihren politischen Charakter. Auch das lebentle Bild hat nur dann «*ine politische Tendenz in ausgesprochener Weise, wenn es politische Zeichen und Buchstaben aufweist. Das kann in Titelschriften, durch Schriften in den Bildern, al>er auch durch Kennzeichen. durch Wiedergabe von Uniformen, Fahnen etc. geschehen. So leicht es ist. sieh in Worten zu streiten, so schwer ist das gleiche in Bildern. Fast möchte ich sagen, die Bilder halieti wi*> die Musik eine friedliche Tendenz. Sie wollen die Menschen miteinander verbinden und nicht aufeinander los hetzen Es i -t unter Umständen leicht in einer Versammlung durch «len Ausruf ..Xied«-r mit den Tvranen" der Stimmung einen ernstlichen Cha¬ rakter zu g«*ben. Wie oft sind W«>rt ge fechte die Veranlassung zi Tätlichkeiten. Auss«-hreitur.gen «xler Duellen« In der hohen Politik spielen Reden. Briefe und Leitartikel dieselbe Kolk, l'nd wie leicht es ist. in Worten, in der Presse und in politischen Rixlen die Saat d«*s Unfriedens, tles Miss¬ trauens und der Verhetzung zu säen, beweist ein Teil der englischen Presse zurzeit sehr deutlich. Da die Preise wohl immer auf ein Sprachgebiet angewiesen ist. wird sie stets die Interessen dieses Gebietes «xler noch enger begrenzt«- Interessen vertreten. Derjenige Teil d< r Literatur, der «lern internationalen geistigen Verkehr angehört, kennt solch«“, man darf wohl sagen geistige Schranken ni«*ht. Nun besitzt die Kinematographie die grosse K«-sonanz d«-r Presst», sie hat ihre Is-ser, ihr Millionenpnblikum bei jedem guten Film so gut wie der Leitartikel ein national««* Publikum findet. Zugleich aber ist da« Publikum lies Film ein internationales. Der gr<>sse kost¬ spielige Film ist sogar auf ein solch«»* Publikum angewiesen. Seine Tendenz muss als«) allgemeiner, rein menschlicher oder unptditischer Natur sein. Gegenstäntle für die alle Völk««r Sympathien hegen, wird dit» Filmfabrikation grossen Stils bevorzugen. Alle Völker verbindenden Momente «ler Weltgeschichte wird sie ihrem Publikum vor Augen führen und damit eine stetige, sichere und wirksame, wenn auch ungewollte Friedensarbeit leisten. I >a bringen uns die Amerikaner die Botschaft des Fri«“dens in einem Film, der den Stern derWeisen des Morgen¬ landes und seinen Weg zur Geburtsstatte Christi so anziehend schildert, dass wir die Religiösität di«»sor als Dollarjäger verschrienen Yankee* bewundern lernen. Die alte Sage von «ler Kulturlosigkeit des Amerikaners g«‘bt ülierhaupt angesichts ihrer künutlarizchen Leistungen auf dem Gebiete aller mit «ler ’lechnik verknüpften Künste, vor allem di«- Photographie, in die Bruch«“. Gerade die Amerikaner verstehen es aus harmlosen (h-genständen „etwas zu machen“. Das zeigt am deut ichsten der atnerikanis»“he Humor, der das Zwerchfell u erschüttern weiss, ohne die Ehre anzugreifen, sieh über eligiöse Anschauungen lustig zu machen, oder überhaupt gesellsehaftsunfähig zu werden. Es ist die Genialität des Vankos. die sielt die Anerkennung der ganz« n Welt ver¬ schafft in «lern sie mit gnnsser Kühnheit ins Alltagsleben greift un«l mit Sicherheit des allgemein gültige f«‘sthält Aber auch «ler eing«“fl«‘ischte Geschäftssinn d«-s Amerikaners verbietet die Erotik, den Zynismus und das hässliche politische Lied. Nur «las künstlerische «xler humoristische Genie weis*, dass harmlos und langweilig nicht dasselbe ist. l'nd da di«“ Kinematographk“ in tltr Hauptsa«“h<“ auf ein Publikum angewiesen ist. das sieh aus Eltern und Kindern, Arm und Reich, aus d«*n Angehörigen aller Klassen. Rassen und Länder zusammensetzt. so ist gerade die Filmindustrie- gezwungen den Beweis zu erbringen, dass ein sehr harmlos«“* S«'hauspiel eine Situation sein kann. Da sah ich vor einigen Tagen einen hiihs«“hen ameri¬ kanischen Film, der nichts schildert als den alliTgewühnlich- sten Verlauf einer Lieh«»sgesehi<“hte, - s««fern es nicht in «ler Theorie gewöhnlich genannt werden «larf. dass der Verliebtheit eine Verlobung und dieser die Trauung folgt ln diesem Filn» tritt ein reiz«“iul«“r Amor auf. derselbe Amor, «len wir schon von Gibsons Zeichnungen her kennen, denen übrigens auch der unendlich währende Abschied mit dem versehneiti-n Brautpaar entnommen sein dürfte. Nur Geist und Schönheitssinn vermögen harmlosen Dingen den Reitz einer Sensation zu verleihen. Der Film muss «lah«*r. wie ein guter Feuilletonis* über jeden Gegen stand in überraschender Weise zu plaudern wissen. ln die*«*r Richtung werden wir die Hauptstärke «ler Kinemato¬ graphie zu suchen hulien. Die vielen Millionen Meter humoristischer Films, «lie schon ges«“haff«‘n worden sind, «•rgehen «l«“n besten Beweis für d : e völk«*rverbin<len<le Kraft d«*r Liehtbildkunst. Wie s«hr aber ein inniger Verkehr der Völker miteinander tlureh die Kinematographie gefördi-rt wird, wie sehr die geg«“ns*“itigc Bekanntschaft und Fn»»in«l- sohaft eile poltiischen B«*d«“nken aus dem W*-ge zu räumen im Stande ist. da* zeigt uns die treuh« rzig«* Aufnahme die aus ländische, vor allem französische Filmwerke in Deutschland. In jeder anderen Branche, auf j«*dem anderen künstlerischen und pädagogisch« n Gebiet würde es auffallen, dass dit» Fran¬ zosen im modernen Deutschland und vor dessen grösstem Theaterpublikum eine Hauptrolle spielen. Statt «h-ssen freuen wir uns iilx*r alle glücklichen Ein¬ fälle der Franzosen ihre vorzüglichen Schauspielet, die Eleganz französischer Toiletten, den klassischen Ausdruck der französischen Geste und lernen nebenbei Paris, «len Montmartre, den Bois de Boulogne. die französische Küste und vieles andere aus dem Lande uns«»rer Nachbarn kenn«»n «xler wii-derzuerkennen. Aller nicht nur in iH-utsc-hland. n allen Erd eilen ist «ler französische Film licliebt un«l mit ihm «l«*r italienische, der englische nid der amerikanisch«“ Die deutsche Filmindustrie ist ebenfalls «lahei Films zu schaf¬ fen. denen die allgemeine internationale Verständlichkeit der lelx-ntlen Bildersprache zum Vorteil zu gereichen ver¬ mag. Wir haben hier einen Austausch von geistig«“n Er- zeugniss«*n aller Länder vor uns, wie ihn di«' Geschichte n«x*h nicht gesehen hat. Wenn nämlich die Kunst, die M«»nsch«»n einander näher führt, wenn sie über kleine Zwistig¬ keiten und politische Fragen der Gegenwart hinweg auf alle gemeinsamen Prohl«*me der Menschheit hinweist, so dürfte die Kinematographie in dics«“r Hinsicht alle anderen Arten von geistigem Verkehr übertreffen. Ich glaube nicht, dass irgemi eine andere Vorführung ein so grosses und im günstigen Sinne gemischtes Publikum findet, als die Kinematographie. Allenfalls tuag irgend eine Operetten¬ melodie so Ix-kannt sein, bekannt in der ganzen Welt, bei Gross und Klein, bei Arm und Reich, wie irgend ein beliebter Film. Das Resultat würde für «lie Politik des Friedens da¬ durch allerdings aussertirdentlich gewinnen, dass das Her¬ kunftsland ein«*s Films vor der Vorführung angegeben oder aus «lern Titelhilde jedem sofort ersichtlich wäre.