Der Kinematograph (May 1910)

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No. 177 Der Klneniaumrapt» — Dasscldori wehrlos ist, wenn er die Wiederentfrerndung des l*ul>likums betreibt. Denn die Menge Wtet das gedruckte Wert an wie Hinnnelswahrheiten. Hoffentlich geht man iu Zukunft mit len Klassiker films etwas vorsichtiger um. Hin kräftiger «leschäftsgeist ist gesund, nie aber darf ihn so Itewinnsucht unterjochen, dass, in frivolem Spiel mit hehren Namen, et der Verächt¬ lichkeit Grenze streift. Paul Le n * - Le v \. Masken — und Gesichter. Von unserem englischen Korrespondenten Brian Lawrence. Jedermann findet Vergnügen an kinem.ttographische Bikler, mögen sie dramatisch, komisch, erzieherisch oder Heisel»ikler sein. Hin dramatisches Bild rühr- uns oft tief, manchmal weinen wir aus Mitgefühl mit den leidenden Per¬ sonen und wir erfreuen uns, wenn schliesslich t-lles ein gutes Ende nimmt; bei einem komischen Bilde lachen wir von ganzem Herzen und ergötzen uns an den Grimassen der init- wirkenden Komödianten. Ihre Erlebnisse :.nd Späss« losen eine grosse Heiterkeit liei uns aus Bei Heise bildern setzen wir uns auf unscrm Hatz zurecht, als ob wir in einem bequemen Auto, in einem Zug oder Dampfer sässen, je nachdem, so dass wir in grösster Ruhe die versch i ede n en Landschaften bewundern können, welche sich unseren Augen zeigen, bei den wissenschaftlichen und belehrenden Films denken wir uns in die Zeit zurück, da wir noch lernten, und wir (lassen auf — wie ein Schulknabe tun sollte, aber selten tut — wenn ihm der Lehrer ein Problem von Euelides erklärt. Es ist ganz natürlich, dass wir uns tiir all« diese ver- sc In dienen S«irten Bikler interessieren. Wenn wir aber vorne in einer der ersten Reihen sitzen, können wir mich ganz a ulere Bilder sehen, als die auf der weissen Wand. Wir brauchen nur über die Schulter zu guckeu, um liei dem Lichte, das das Leinen reflektiert, zahllose menschliche Ge¬ sichter zu sehen, und diese Gesichter sind interessanter wie die vor uns. Es sind Gesichtsbilder von wirklich psycho¬ logischem Interesse, welche stundenlanger Studien wert sind. Ein berühmter englischer Schriftsteller, auch in Deutsch¬ land sehr gut bekannt, Oscar Wilde — hatte die Gewohnheit, zu sagen, dass niemand ein wirkliches Mcuschcn- g« sicht zu schauen kriegt, weil j«-der Mensch eine von ihm selbst gemachte Maske zeigt. Es liegt viel Wahrheit in diesem Epigramm Ein berühmter Franzose schrieb. ,,l>em Mensehen wurde die Sprache gegeben, um seine Gtdanken zu verbergen. 1 ' Ich bin der Meinung, dass man diese zwei Behauptungen verbinden und sagen kann: „Wir h ilien ein Angesicht bekommen, um unser»- geheimsten Eindrücke zu verbergen." Nun ist dieses Maske tragen gut und wohl, aller manchmal wird es doch lästig. Zum Beispiel, wenn jemand schlafen geht, daun vergisst er die Maske ganz und gar und die Larve fällt herunter; dasselbe geschieht. wenn er allein ist oder denkt, dass er allein ist — im lhmklen. Dann legt er sein«* falschen Züge ah und zeigt sieh so, wie er ist. ln einem Kinotheater denkt mancher, dass er seine Maske aliltgcn kann, weil er in der Meinung ist. «lass er sich vollständig im Dunkeln befindet. Und das ist gerade für den aufmerksamen Beobachter die Ge¬ legenheit, seine Studien zu machen. Daun hat er die Ge¬ legenheit, etwas von dem wahreu Charakter seines Objektes zu entdecken. Dieser Gedanke drang sieh so hartnäckig bei mir auf, dass ich ihn praktisch eines Abends in einem Kinotheater ausfiihrtc, und hört, was ich sah: Auf einem Platz, direkt hinter mir, sass ein dicker Maim in den mittleren Jahren. Er sah aus wie ein wohlhabender Kaufmann, er hatte seine Frau und zwei kleine Küider bei sich. Hs wurde ein dramatisches Bild gezeigt — in dem sich aufregende Mo¬ mente mit sehr betriilwndcn abwechseln. Ich lieobachtete sein Gesicht, oder liesser seine Maske, all' «lic Zeit. während «ler Film vorgeführt wurde. Sein Angesicht zeigte ebenso wenig Ausdruck von Intelligenz als das eines Schafes. Aufr««gende Vorfälle hatten alisolut keinen Einfluss auf ihn. Seine Kinder dagegen gaben laut ihren Empfindungen Ausdruck, um! die Frau, welche ganz gewiss unter dem Einfluss ihres blöden Mannes g*-istig zuriiekgegungen sein musste, gab ebenfalls Zeichen, dass die Bilder sie rührten. Alicr «las Haupt «ler Familie, völlig seiner Wichtigkeit und Würde bewusst, blieb wie eine Sphinx. Ich kannte das Bild sehr genau und w usste, dass am Schlüsse eine sehr packende Szene kam. die «»in Kind am Sterlielager seiues Vaters darstellte. leb war sehr neu¬ gierig. zu wissen, ob dieses Ereignis die Maske «les Mannes fallen lass«>n w ürde Aber er tat «li««s nicht Sein («esieht z«-igte «lassetbe steinerne Bil«l. Aber eine Sekunde vor «lein Klub- d«*s Films sah ich zwei gross«- Tränen seinen Wangen herunterrolleii. Da wusste ich, dass er überhaupt keine Maske trug. Das nächst«- Biltl war eine Komödie. Ich sehe mich nach einem ander« n Stmiienobjekt um um! ilicsmal trifft mein Auge einen englischen Geistlichen. Ich bemerke hier, «lass die englische Geistlichkeit langsamerhand seinen geistigen Horizont ausbnitet. obgleich sic noch lang«» nicht so liberal und unparteiisch ist, wie die römische. l)ics«-r war ein junger Vikar, ein B*»ginner in seinem Fach, wenn wir in diesem Falle dies -n Handelsausdrnck gebrauchen können. Sein Gesicht drückte eine außergewöhnliche jugendliche Freude aus. Man sah es ihm an, dass er sieh glücklich fühlte, einmal dem Xachmittagstee alter Schachteln entronnen zu sein. Er batte Ferien. Sc n Zwicker sitzt fest auf seiner etwas dicken Nase und er gibt sich völlig dem Gott des Genusses hin. Sein Angesicht zeigt nicht die Spur einer Maske. Die Menschen tragen Masken in Mo¬ menten von schwerer Arlieit. ebenst» in Ständen der Sorg«- und Unglück, aber kein Mensch ist imstande, «liest* Maske zu halten, wenn sieh ihm das Possierliche zeigt. Das lach- weckende stellt Wikle und zivilisierte Menschen auf den¬ selben Platz, kein Mensch kann«1a w iderstehen. Der strengste Mönch wird ein Sehulknalie. wenn er durch etwas Humo¬ ristisches gekitzelt wird. So war es mit diesem Vikar Sein fn'i«*s Lachen klang mir wie Musik in den Ohren. Ich wünsche ihm viel Glück! Noch ein Moment — dann bin ich fertig. Ein kleiner Junge von ungefähr 12 Jahren. Er ist noch zu jung, um liereits an «»in«- Maske zu denken. Sein Angesicht ist. wie d«-r Schöpfer es ihm geschaffen hat. offen, ehrlich und deutlich wie ein off«*ncs Buch. Seine Lippen. Augen, Hände ver¬ raten jeden Eindruck, den er empfängt. Wie traurig guckt er. wenn die Heldin von einem neuen Unglück betrtiffen wird, wie.schreit er laut auf, wenn der Held ihr zur Hilfe kommt, wie warnt er die Heldin laut, wenn der Schurke aufs neue versucht, sein«- höllisch«» Absicht auszuführen und » «-Ich einen Jubelschrei lässt er ertönen, wenn di«- Tugend zum Schlüsse si«-gt und der Schurke seine gerechte Strafe «•rhält. Dieser kleine Junge ist der Engländer der Zukunft. O! da habt- ich eine Person verg«»ssen — — jemand, «len wir selten zu Gesicht bekommen, aber auf den wir uns ganz und gar verlassen, uns einen vergnügten Abend zu besorgen. Wir haben uns alle an der Vorstellung erfreut ; und wenn wir gerecht sind, haben wir auch der gewandten Schauspielerinnen und S«-hauspieler gedacht, welche ihre Holl«- so gut spielten. Wir haben ebenfalls «lic begleitende Musik bewundert und im allgemeinen innerlich unsere An¬ erkennung für die gute Führung des Theaters ausgesprochen. Aber wie viele von uns denken an den schwitz e n den , kohlensehwarzen Mann in dem eisernen Kasten den Mann am Ruder, den Mann hinter der Kanone, sozusagen 7 Lassen wir in Zukunft wenigstens auch seiner geilenken.