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No. 183. Der Kinematograph — Düsseldorf. Melodien meist daran, dass der Pianist die gerade passende nicht zur Hand hat. wenn er sie braucht. Sie fällt ihm eben nicht gleich ein und hat er sie endlicii. so ist es wieder zu spät. Denn ein packendes Bild wechselt so rasch in den Kpisoden und Affekten, dass ein musikalischer Ueliergang zwecks Ueberlegung oder Zurechtlegung der neuen Melodie nicht stattfinden darf, weil ein solcher Ueliergang immer nur ein toter Punkt sein kann, den es in ei icr fort gesonnenen Handlung ja auch nicht gibt. Da werden «l*nn die Uchergänge oft genug zur Begleitmusik selbst und ein ganz einfacher Triller, der aus einer Oktave in die anucre springt. irgend ein ganz form!< »sch Tönegewirr, muss s > lange herhalten, bis sich wieder ein Lichtblick in Form eines Kinfalles ein¬ stellt. Wie sinnlos übrigens die Wahl bekannter und will¬ kürlich aneinandergereihter Melodien als Begleitmusik ist. geht schon daraus hervor, da doch ein Bild mit fortlaufender Handlung auch keim- einzelnen Kpisoder enthält, die keine Verwandtschaft miteinander haben, sondern eine Begeben- heit als Wirkung einer Ursache, also des Motivs, einen Höhe¬ punkt als dramatischen Knoten und eine friedliche oder tragische Dösung. Nur wenn sich der Pianist diesen inneren Zusammenhang zu eigen gemacht hat. wird es ihm auch nicht schwer fallen, die Begleitmusik demgemäss aufzu¬ bauen und auszugestalten. soll sie nicht die Wirkung des Bildes lieeinträchtigen. Der Pianist darf es deshalb nicht unterlassen, sich vorerst mit dem Bilde sellist liekannt zu machen: dann wird es ihm ein leichtes sein, sieh eine kleine Ouvertüre zu- rechtzulcgen und zu fixieren durch deren Vortrag er nicht nur sein Publikum auf das P-ild vorbereitet, sondern auch Material gesammelt hat für die Begleitmusik selbst. Nur auf dies«* Weise wird das Bild ein richtiges Mimodrama werden können, und ein Phantasieren aus der Bildidcc heraus ist eben schon künstlerisches Schaffen. Fine Phan¬ tasie im Is-sten Wortsinn hat eltensoviel Verwandtschaft mit musikalischem Reproduzieren, als auch mit rein künstle¬ rscher Produktion und sie hat die Erleichterung, dass sie nicht innerhalb liestimmter Formen, wie Lied, Tanz. Marsch etc. vor sich gehen muss; bloss anzudeuten hat sie diese Formen ; aller was die Phantasie mit künstlerischem Schaffen gemeinsam hat, ist das Motiv, auf («rund dessen sie weiter- gesponnen werden kann. Dieses jedoch muss vorhanden sein, und wäre es auch ein entlehntes. Die Fähigkeit , rasch, ohne Vorbereitung, ein Motiv zur Hand zu hulten und daraus ein Thema zu gestalten, ist sehr selten und kann nicht erlernt werden. Was »Ist erlernt werden kann, ist die Schulung und das Formen eines Oe- dankens, und da die meisten unserer Kinopianisten die Fälligkeit zu frei«-r Phantasie aufweisen müssen, sollen di«* folgenden Ausführungen einige Fingerzeige in «lieser Richtung geben. Wenn auch der Fall eintreten würde, dass ein Kino- unternehmer sich entschloss«' einen jungen Künstler, «1er aus der Meisterklassc eines Konservatoriums hervorging, zu verpflichten so würde er bei den meisten dieser Künstler die gleiche Erfahrung machen. Sie werden den Anforde¬ rungen im freien Phantasieren genau so entsprechen, wie der weniger geschulte Pianist, werden vielleicht etwas mehr (Geschmack an den Tag legen, als man sonst im Kinemato- graphentheater anzutr«'ffcn gewöhnt ist, sie werden zufolge ihrer Studien auch die nötige Beherrschung der Form ver¬ raten, selten aller werden sie imstande sein, einen Walzer, einen Marsch, oder sonst ein musikalisches Produkt popu- lärcn (ienres frei aus dem (Gedächtnisse spielen zu können. I>enn die langjährigen theoretischen und technischen Studien liedingcn wohl eine künstlerische Befähigung für jede höhere Richtung, die in der l*raxis irgendwie (Geltung hat, nicht aber auch eine Art Freiheit im Sinne der im Kinotheater nötigen Unterhaltungsmusik, und s«'hon durch die stete Beschäftigung mit den Klassiki-rn der Musik un«l der musikalischen Pädagogik sind die konscrvatorisch gebildeten Musiker meist für jedes (Genre unbrauchbar, das im gegebenen Momente'auch populär sein muss. Sie stecken anfangs allzusehr im Schulzwange und erst wenn die bittere Notwendigkeit, «lic Ueberfüllung im Fache der Pianisten sic veranlasst, sich im Kinotheater zu Is'tätigen. müssen sie jene musikalische Naivität sich mühsam erringen, dir ls*i dem weniger geschulten Pianisten s«‘lbstverständlich ist. Alle Pianisten, welcher Schulung immer, betrachten ihre Aufgabe als gelöst, wenn sie überhaupt — sei <*s vom Blatt. s«'i es auswendig Musik mat'hen. Sie kümmern sich wenig um alle «Im* .Wechselwirkungen, die zwischen Bild und Musik iicst<‘lion und seien sie mich so augenfällig Nicht einmal «Icr absolvierte K«inservat«irist hat jemals (Gelegenheit, sieh mit den Schwesterkünsten der Musik zu beschäftigen und zu lernen, wie jede einzelne Kunstform «ihnc Absicht d«-s Schöpfers und ohne Zutun «les Beschauer- di«' Musik aus sich heraus gebiert und «hiss es nur lediglich n«K'h einer Form ln'<larf. um der aus beinahe je«lem Bilde s«'i es welcher Art immer. <|uellenden Musik Ausdruck zu geben. Dies«' Wechselbeziehungen sind so mannigfaltig, duss man ein Handwerker uud nicht Musiker sein müsst«* diese nicht zu nützen, zeigen sie sieh «hs-h ütierall. wo lels'iidigc Vorgänge dargestellt werden. Tanzliewcgung und Rhythmus, Mimik und musikalischer Ausdruck, der dra matischf Effekt und die musikalisch«' Steigerung, die Natui und ihre Laute, sind solch«' Wechsellieziehungen. die ein ander unterstützen und die bloss erlauscht und angewendet sein wollen. Di«*s meint auch Richard Wagner, wenn et <l«'tt Kom|sinisten den folgenden, freilich stark ironischen Rat gibt und in s«'in«'r Schrift iilter das Dichten und Koni |Kinicrcn sagt: ..Di«'scr (ihr Koin|sinist, sehe sich nun z. B. «Ii<- eine Person, die ihn gerade heute am nächsten angeht. recht genau an: trägt sie eine Maske fort damit ist si«' in das (Gewand «h-r Figurine «'im-s Theaterschneidei- gekleidet herab damit ; er stelle sie sich in <*in Dämmer licht, da er nur «len Blick ihres Auges gewahrt. Sprich' dieser zu ihm. so gerät die (Gestalt jetzt wohl sellist auch in «*in«' Bewegung, die ihn vielk-icht sogar erschreckt was «*r si«-h alter gcfullcn lassen n-.uss; endlich erhellen ihr- Lip|M'ii. sic «öffnet «len Mund tinii eine (Geisterstimme sag: ihm etwas ganz Wirkliches, durchaus Fassliches, alter ainlt so Unerhörtes, so dass «-r dan Ihm aus dem Traum erwacht; alles ist verseilwunih'it. al*er im geistigen (G«*l»«•« tönt es ihm fort: er hat einen ..Einfall” gehabt unil dies«-! ist ein sogenannte« musikalisches ...Motiv”. Mit diesen Worten «l«*s Dichterkoinponistcn ist auch «li Aufgals' des Kinopianisten in ihrem IVinzip* klargelegt und ihr (Grundzug gekennzeichnet: lievor wir nun zu dci’i Beispiele eines Bildes mit la'Wi'gti'r Handlung iils-rg« li< wollen wir uns an einem einfachen Ismdschaftahihh* klat machen, auf welche Weise eine sinngemässe Vcrtomin. geschehen kann, ohne vorerst «*in Motiv zu Hilfe nehmen zu müssen und cs auszuliaucn. Es genügt schon irg«'n«l ein* bekannte Mehidie, um nach d«'tn wechselnden Bilde intn-t hall« dieser Melodie wttchwlnde Wirkungen zu «'rzi«*len Am Bilde g«*ht der Wechsel in «len einzelnen Situation* '• aus der Handlung hervor und kann nur im Zusammenhang* niemals aber durch «'ine sichtbare Abgrenzung Kennth* ä gemacht werden. Aber eine ganze Menge Ruhepunkt* Steigerungen weisen der BegU'itinusik den Weg zu ruhigem Flusse, zum eresc:end«i un«l decrescendo, zu Fermat«'ii. zur Modulation in die Paralleltonarten usf. Und so wie «las veränderte Tageslicht geeignet ist. die Stimmung in «h*r Handlung noch stärker zu beeinflussen, s«i vermag es auch die Begleitmusik. Der Beschauer kann ein am Tage spiel* n tlcs Bild in allen s«'inen Phasen genau verfolgen, wird als'« mit «ler zunehmenden Dunkelheit ein viel grösseres Mas* Aufmerksamkeit anwenden müss«*n, bis er endlich, wenn die Nacht vollends hereingebrochen Ist, nur noch von Z* '< zu Z«*it. gleichsam schattenhaft, die Vorgänge w ird erhaschen können. Im selben Masse wird auch die Begleitmusik sich verändern müssen, undeutlicher, unausgespr«»ch«*ne r werden, und zur Vervollständigung der Illusion genügt es»