Licthbild-Bühne (January 1911)

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Seite 4 L • B • B No. 1 Eine Plauderei über den Kino ■■■■ in baufälliges, altes Gebäude; mehr E Scheune, denn Saal oder gar Theater. Das Publikum: Kleine _ Handwerker, Arbeiter im Fabrik- ■■■■I kittel, junge Kaufleute im Bürorock. Verkäuferinnen und Mädchen, die nach der Arbeit am Webstuhl sich einige Stunden ablenken wollen durch die Pilder, die die Leinewand hervorzaubert. Vereinzelt nur sieht man die „bessere“ Bürgersfrau, junge Leute aus „besseren Ständen“. Die Atmosphäre von Bierdunst, Tabaksqualm und die Befürchtung, jeden Augenblick könnte ein von der Decke fallender Balken des baufälligen und feuer¬ unsicheren Gebäudes die Behaglichkeit ruhigen Genießens unsanft stören, setzte eine eigene Geschmacksrichtung voraus, um die ich die Besucher des Kinos nicht beneide, und eine seltene Nervenstärke, die im Gegenteil recht beneidenswert ist. So also war der „Kientopp“ und sein Publikum einst. Dagegen heute! Auf wohlgepflegtem weitem Platz, beleuchtet von weitstrahlenden elektrischen Bogen¬ lampen, erbebt sich ein Gebäude, das Anspruch darauf machen darf, zu den schönsten der Stadt gerechnet zu werden. Und allabendlich wallt in diesen Tempel, der dem jüngsten Kinde der Muse Thaliens geweiht, eine Menge, die sich zusammei setzt aus allen Schichten unserer Bevölkerung. Das Publikum, das in anderen Städten zu den Stammgästen des Varietees gehören würde, findet sich hier ebenso ein, wie die Besucher der KUnstlerkonzerte. Ja, man darf wohl allgemein sagen, sie sind hoffähig ge¬ worden, die Lichtspieltheater. Als im vergangenen Herbst der russische Zar unsern Kaiser in Potsdam besuchte, wurden ihm an einem Abende deutsche Flottenmanöver durch kinematographische Lichtbilder-Vorführungen gezeigt. Jahrelang vegetierten die Kine- matographen in obskuren Kneipen, minderwertigen, geschmacklosen Räumen. Die Besucher waren entsprechend. Und was der Apparat auf die Leinewand projizierte, war auch nicht dazu angetan, um der neuen Kunst eine Existenz¬ berechtigung zuzugestehen. Nach und nach nahmen sich Männer der Sache an, die eine Möglichkeit zur Volksbildung in dieser neuen Art von Anschauungs¬ unterricht erkannten. Und während man bisher kaum anderes suchte und erwartete, als Räuberszenen und Verbrecherjagden, wie sie die Reklamesäulen in Bildern mit schreienden Farbentönen schon an¬ kündigten, war man erstaunt, jetzt wissen¬ schaftliche Forschungsreisen für wenige Groschen mitmachen und sich an dem gesunden Humor einer oft grotesken Komik erfreuen zu können. So wurde der Kinematograph ein Lichtspieltheater,wurde er eingereiht in die Reihe der Veran¬ staltungen, die, wie jedes Theater, zum Ziel haben, in gleicher Weise auch bildend zu wirken, wie sie bisher ihre Zuschauer nur unterhalten haben. Die Besitzer und Leiter der Kinos haben nun mit ihren Kollegen vom Theater das Eine gemeinsam, daß sie gleich diesen um die Gunst des Publikums der großen Massen buhlen, mehr oft, als der Kunst, der guten Sache dienlich. Indessen, selbst rosigster Idealismus, selbst ernsteste Vorsätze müssen ins Wanken geraten, wenn ein gediegenes Programm nur leere Häuser zeitigt. Ideales Streben macht Siefreuen sich wie ein Schneekönig auf das Erscheinen unserer „Lichtbild- Bühne“, denn Sie finden in jeder Nummer interessante Mitteilungen aus der Branche und neue praktische Anregungen für Ihren Theaterbetrieb. Abonnement pro Quartal Mk. 1 , 60 . wohl die Wangen glühn und das Herz schneller schlagen, doch ist bekanntlich blühendes Aussehen und ein lebhaftes Temperament nicht immer der Beweis für einen gesättigten Magen. Auch nicht bei Theaterdirektoren. Denn auch sie sind Menschen. Wollen also auch leben. Was nur möglich ist bei vollen Kassen, vollen Häusern. „Will das Publikum nicht so wie ich, muß ich so wollen wie das Publikum.“ Ständiger Stoßseufzer aller Bühnenleiter. Und während der Theaterdirektor zuversichtlich hofft, daß ihm Operetten volle Häuser bringen, so weiß der Besitzer des Kinos, daß ein Film, der humoristische, bis zur Un¬ möglichkeit gesteigerte Situationen auf die Leinewand zaubert, die größte Zug- von heute. ! kraft hat und den meisten Beifall findet, wenn nicht vor diesen noch die „Dramen“ den Vorzug erhalten von einer Menge, die da meint, Zweck jeder Schaustellung muß es sein, Rührseligkeit zu erzeugen und den Tränendrüsen-Apparat in Tätig¬ keit zu bringen. Nein, einem so ver- ; bildeten Geschmack dürfen keine zu i großen Zugeständnisse gemacht werden i auf Kosten eines anspruchsvolleren , Publikums. Anspruchsvoller? Sagen wir; ! eines Publikums mit gesundem Empfinden. Mitleid zu erwecken durch menschliche Gebrechen — blinde hilflose Kinder — | durch den Tod, die sterbende Mutter - | das sind frivole Spielereien, zwar imstande, uns zu gemahnen an das Elend und Unglück in der Welt, doch wegen der auf Sensation ausgehenden Bilder bar jedes sittlichen Wertes. Nicht will ich behaupten, daß das Förster Apollo-Theater diese Art Attrak¬ tionen bevorzugt - dazu war ich hier ein zu seltener Gast —; wenn’s dennoch so ist, dann geht es eben auch nur die alten Wege so und so vieler anderer Kinos. Eines Abends entsinne ich mich. Es war im Sommer. Sogar ein schöner Sommerabend. Welch reizvolle Selten¬ heit in diesem Sommer. Der Abend lud ein, ihn draußen im Freien zu gnießen. Und doch ging ich in den Kinematographen. Eine wissenschaftliche Forschungs-Expe¬ dition des Herzogs der Abruzzen, seine Besteigung des Himalaya zeigte das Programm an. Der Balkon, der Saal, i die Logen waren „brechend voll“. Ein distinguiertes Publikum hatte sich ein¬ gefunden, wie es sonst meist nur Mitt¬ wochs an den Elite-Abenden anzutreffen ist. Erstaunt über Art und Menge der Besncher fragte ich mich: lag’s an der stärkeren Reklame, daß das Haus so besucht war, oder lag’s nicht vielmehr am Sujet? Harlekinaden, wie sie . so viele Kinos bringen, sind besser noch im Zirkus anzusehen; wen’s bei den ohnehin schon tristen, schlechten Zeiten noch danach verlangt, daß ihm das Herze bricht vor Rührung, der möge einige Akte Charlotte Birch-Pfeifferscher Rühr¬ stücke einnehmen die Wirkung ist unausbleiblich. Doch was der Kino für diesen Abend versprach, vermochte selbst der phantasiebegabteste Geist sich nicht vorzustellen. Alle Vorbereitungen, Sorgen und Mühen, Strapazen und Entbehrungen einer grandiosen Reise, die reizvollen Schönheiten unerforschter wildromanti¬ scher Bergesszenerien sollten dem stau¬ nenden Auge des Besuchers gezeigt werden. Und der Film fesselte die Auf¬ merksamkeit bis zur atemlosen Sqannung. Gibt es ein Hindernis, vor dem der menschliche Geist Halt macht?-