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Seite 10 L ■ B ■ B No. 47 können, wie etwa in Paris, Bferlin oder New-York, finden sie den Weg zu den Kinematographentheatern. Das ist kein „Verlaufen“, wie es der Theaterdirektor aus der Provinz bezeidinet, sondern eine Gesdimadcsrichtung des Publikums, der das konservative Theater nicht Rech¬ nung trägen konnte. Schließlich ist ein historischer italienischer Film, oder ein modernes deutsches und französisches Filmdrama zumindestens ein gleich er¬ hebender Genuß, wie der Besuch eines | Kleinstadttheaters; ein Faktum, das der Provinzdirektor in seinem Rundschreiben ja selbst feststellt, wenn er sagt, daß das Kino amüsanter ist und in ihm für weniger Geld mehr geboten wird. Das künstlerische Kritikvermögen des Publi¬ kums ist ungetrübt, denn das beweist ' ja, die von dem Theaterdirektor aus j der Provinz beklagte Abwanderuug vom Theatar zum Kino. Daß der provinzielle Kunstlieferant auf Grund seiner falschen Prämissen zu geradezu komischen Schlüs¬ sen kommt, nimmt kein Wnnder. Nur kann man es nicht verstehen, daß der Kollege von der „vornehmeren“ Fakul¬ tät dabei ganz aus der Contenance kommt und würdelos, wie ein Rohrspatz schimpft. Ist es etwa Brauch am The¬ ater, die Besitzer der Kinematographen- theater, also die Konkurrenz, als ge¬ wissenlose Spekulanten zu bezeichnen, die durch Dirnenverführungen als Köder ihr Publikum heranziehen“? Wir sind nicht boshaft, aber wir können es uns doch nicht versagen, in aller Bescheiden¬ heit anzufragen, ob die derzeitigen Schlager der Großstadt Berlin: Die Nacht von Berlin, Spielereien einer Kaiserin, Ein Walzer von Chopin, Die keusche Susanne et tutti quanti, ob die Kaesenerfolge der Kleinstadttheater in früheren Jahren: Die Dame von Maxim, Einquartierung, Leontlnens Ehemänner, Luttl usw. ob alle die Stücke, die für den nur mit der höchsten Kunst han¬ delnden Direktor Gewinn abwerfen, (Klassiker sind bekanntlich in der Pro¬ vinz nur zu halben Preisen und dann am Sonntag nachmittag rentabel), etwa in der Riditung des Vorwurfs gegen die Kinofilms, stubenrein sind? Nein Verehrtester — unter Schminke ver¬ steht man ja gemeinhin: Kunst, aber Margarine ist bekanntlich auch Butter und ich glaube kaum, daß ein deutscher Provinztheaterdirektor einen so schlech¬ ten Geschmack besitzt, sie als reine Butter zu goutieren. Aus dem Glashaus soll man nicht mit Steinen werfen. Und nun gar der Ruf nach der Polizei — o jemine — auch das noch. „In der Handhabe der Bedürfnis¬ frage hat jede Stadtverwaltung ein nicht versagendes Mittel Ihre Theater zu schützen und vor Ueberhandnahme unlauterer Konkurrenz zu bewahren. Statt dessen sieht man oft, wie Kon¬ zessionen über Konzessionen für minderwertige Theaterkonkurrenzge¬ schäfte ausgegeben werden, wie z. B. für Kinematographen. Vor allen Dingen muß eine strenge Zensur ein¬ geführt werden. Wie früher die Jugend gehungert hat und ihre letzten Groschen aus schöner Begeisterung ins Theater trug, so trägt sie sic heute ins Kino.“ So raisonniert der aus Not schrei¬ ende Kunstanstaltsbesitzer aus der Pro vinz noch endlos weiter. Die obige Blütenlese genügt. Aus der Tragödie hat der gute Mann selbst eine Komödie gemacht. Die Gewerbefreiheit ist ihm gleichgültig, auf Selbsthilfe verzichte ‘ er ebenfalls ohne Weiteres, aber di»> Behörde muß schützen, keine Kinos konzessionieren; übrigens ein Radikal mittel um sich die Konkurrenz vorn Leibe zu halten. Die strenge Zensu ’ über die das Theater fortwährend un 1 teilweise mit Recht in der Presse Län i schlägt, wird den Kinotheatern auf de i Hals gehetzt. Weshalb? Audi hieravf weiß der Notschrei eine offene um! recht vergnügliche Antwort. Die Gro¬ schen der Jugend sind es, die dem Theatermann in die Augen kitzeln. So* gar die Jugend kehrt dem Theater den Rücken. Es ist herrlich weit gekomme n mit dem deutschen Theater! Aller Sympathien bar, gegen die Konkurrenz keifend und neidisdi macht es die Be¬ hörden scharf gegen die Kinos. Wahr¬ lich ein Kulturbild reif für den Simpl i- zissimus. □ Behördliches. □ Kinematograph und Jugend. Zu diesem Thema fand in Stuttgart eine vom Landesverband für Jugend¬ fürsorge einberufene Versammlung statt, in welcher am Schluß folgende Resolution einstimmig angenommen wurde. In An¬ betracht der volkswirtschaftlichen, gesund¬ heitlichen, intellektuellen und sittlichen Schädigungen, mit welchen die Entwick¬ lung des Kinematographenwesens unser Volksleben und besonders die Jugend be¬ droht, begrüßt eine am 3. November 1911 zusammengetretene Versammlung aus al¬ len Kreisen der Bevölkerung dankbar die Nachricht, daß die Staatsregierung eine gesetzliche Regelung des Kinematographen- wesens in Erwägung gezogen hat und bittet um baldige Vorlage eines Entwurfs an die gesetzgebenden Instanzen. Daran anschließend veröffentlichen wir einen sehr vernünftig gehaltenen Ar¬ tikel, der in der „Schwäbischen Tag¬ wacht“, Stuttgart erschienen ist: Eine in Stuttgart stattgefundene Ver¬ sammlung, der Vertreter von staatlichen und kommunalen Behörden beiwohnten, wurde gegen die Auswüchse des Kine¬ matographenwesens Stellung genom¬ men. Nach längeren Erörterungen nahm die Versammlung einstimmig eine Re¬ solution an, in welcher der Nachricht, daß die Staatsregierung eine gesetzliche Regelung des Kinematographenwesens in Erwägung zog, begrüßt und um bal¬ dige Vorlage eines Entwurfs an die gesetzgebende Instanz gebeten wurde. Uns erscheint es sehr zweifelhaft, ob die gesetzliche Reglementierung das Achtung! Lesen Sie unbedingt das wichtige Inserat.aufjSeite 16,* betreffend: „Die Irrfahrten des Odysseus“.