Lichtbild-Bühne (June 1913)

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Der Film und wir Dichter! „In meinem ganzen Leben habe ich noch nie einen Film geschrieben!" - Sehr geehrte Schriftleitung! B ach diesem freimütigen und ehrlichen Bekenntnis, wird man das Motto, das ich dem Brief voranstelle und das sie wohl als Titel für einen Artikel verwenden wollten, anmaßend finden, zumal meine literarischen Arbeiten kaum über den engen Kreis meines Vater¬ landes und meiner Sprache bekannt sind. Nun will ich trotzdem mich hier mit dem Film als Ausdrucksmit¬ tel einer Kunst beschäftigen und kann meine Kompetenz für diese Arbeit nur durch die Art und Weise bewei¬ sen, wie ich dieser Aufgabe gerecht werde. An Material fehlt es mir mit nichten, denn ich bin seit Jahren und in vielen Ländern, in die mich Stu¬ dien und abenteuerndes Leben trieb, ein fleißiger und bewußter Kino¬ besucher gewesen. Für uns Freunde, die wir die Sprachen des Volkes, mit dem wir gerade leben, gar nicht oder zu wenig kennen, um in den Theatern die Vorstellungen zu genießen, wie wir es müssen, um aus den Stücken Erbauung oder Erschütterung zu empfangen, die wir auch bei dem Verkehr in den Kreisen, die im Ausland gleiche Interessen und Ziele, oder wenigstens ähnliche haben, in der Sprache ein schwer zu überwindendes Hindernis finden, bleibt neben der Kirche, deren Zere¬ monien und Inhalt in der weiten Welt immer die gleichen sind,nur derKino. Mit Inbrunst, tiefer Verinnerlichung, die Gabe, ohne die wir nun einmal nichts schaffen können, sehe ich dem flimmernden, tanzenden Spiel der Strahlen auf weißer Wand zu, oft bis ins tiefste abgestoßen, oft bis zu Tränen gerührt. Sie werden viel¬ leicht Steine auf mich werfen, die Aestheten und Sitten, aber, es hilft nun einmal nichts, mag der Vorgang noch so unwahrscheinlich sein, wenn der Sohn, der verlorene und wieder¬ gefundene, an das Totenbett seiner Mutter stürzt, just in dem Augenblick, da unsichtbar der Sensenmann mit schadenfrohem Grinsen die letzten Sandkörner in das Glas rollen lässt, wenn die Sterbende mit letzter Kraft sich aufrichtet und voll Mütterlichkeit den Scheitel ihres Jungen streichelt, der doch noch in Alaskas Goldfel¬ dern sein müßte, dann steigen mir die Tränen in die Augen; es nützt nichts, daß ich mir sage: Wie abge¬ schmackt, welcher Kitsch. Die ein¬ fache Geste ergreift. Doch bevor ich von dem Drama, dem Lichtspiel und den übrigen Va¬ rianten des Films spreche, will ich versuchen, die Kunstform zu fassen, nach der die elfte, oder ist es viel¬ leicht schon die zwölfte, der Schwe¬ stern in Appell verlangt. Das Mit¬ tel, durch das der Film nur wirken kann, ist in erster Reihe: das Bild. Es ist das scenario und, wie ein Dich¬ ter nur bühnenwirksame Stücke schreiben kann, wenn er innerlich bühnengemäß erlebt, so müsste der Filmdichter nur bildmässig denken. Das heißt, um irgend ein Problem herauszugreifen: Zuchthäusler. Der Bühnendichter müßte ungefähr so den¬ ken, erleben. Wie entsteht in dem Menschen, den ich auf die Bretter stellen will, die Lust oder der Zwang zum Verbrechen? Nie entwickelt der Bühnenmensch psychologisch den Mann, der zum Verbrecher hinan¬ reift. Die tausend Möglichkeiten interessieren hier nicht. Das Verbre¬ chen ist begangen, der Verbrecher verurteilt. Bei seiner Rückkehr in die Gesellschaft findet der Zuchthäus¬ ler nur verschlossene Türen und saugt sich voll an Hass und Rache. Das Drama schreitet nun ganz nach der psychologischen Anlage der Haupt¬ figur fort, sei es, daß der Mann, der das erstemal aus ungehemmter Lust oder aus irgend einem Motiv heraus ein Verbrechen beging, von der Le¬ bensbühne abtritt, sei es, daß er sich an der Gesellschaft, die ihn verstieß, rächt, sei es, daß er im Abschaum verkommt. Das soll hier unwesent¬ lich sein; ich habe ja auch ein triviales Problem gewählt. Der Filmdichter, der dazu geboren ist, sich filmisch auszudrücken, muß in der ersten Reihe bildhafte Vorgänge erleben, für ihn ist das, was sich oft zwischen Akten abspielt, ein wesentliches Bild. Bis zu dem Augenblick, da das Ver¬ brechen geschieht, dürfte sich in großen Zügen das Bild der Bühne und des Fijms decken, das letztere natür¬ lich wird viel abwechlungsreicher sein, da das Wort durch das Bild, der Gedankengang durch bild¬ hafte Tatenreihe ersetzt wird. Nun aber beginnen die Ergänzungen, deren der Film bedarf, die der Büh¬ nendichter zwischen die Akte legt und sie später durch Worte andeutet oder überhaupt bei seinem Publikum vor¬ aussetzen kann und muss. Die Ge¬ richtsverhandlung, die Kerkerhaft usf. Ueberall da, wo der Bühnenmeister Wort und Gefühl sieht, muß der Filmdichter ein Bild erleben. Nur