Lichtbild-Bühne (June 1913)

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Kino und Publikum. in Regentag in Garmisch. Die dicken, grauen Wolkentücher bauschen fast bis auf die Dächer. So geht das schon seit einer Woche! Was soll man nur den ganzen lieben Tag über machen? „Gut, so werde ich heute schon mal mit Ihnen in den Kientopp“ — das mit aller berlinischen Härte und größtmög¬ lichster Verachtung hervorgestoßen — „in Gottes Namen gehen!“ Der so zu mir sprach, während wir beide vor der Tür der „Post“ unter triefen¬ den Regenschirmen Abschied nah¬ men, war einer der bekanntesten Berliner Stadtväter und ein energi¬ scher Kinogegner, der, wie das meistens so ist, noch nie in einem Kino gewesen war. „Also spätestens um 4 Uhr!“ Und damit trennten wir uns. Als wir uns zur verabredeten Stunde an der Kasse trafen, war ich nicht schlecht erstaunt, daß der Kas¬ sierer achselzuckend meinte: „Nur noch 30 Pfg.-Plätze da!“ Innen, das Theater, war zum Brechen voll; tat¬ sächlich nur noch ein paar Plätze auf der vordersten Bank blieben uns. — Und schon wurde auch das elek¬ trische Licht ausgeschaltet, und auf der Leinwand zeigte sich eine nor¬ wegische Fjordlandschaft im Sturm. Uebereinanderhastende Wellen, da¬ hinrasend, zerschellend, aufgisch- tend, gegen Klippen stürmend — dar¬ über segelnde Möven, die man förm¬ lich im Sturm schreien hörte, so glän¬ zend war die Aufnahme. Und mein Kinogegner fuhr mit der Linken in höchstem Staunen, als sähe er ein un¬ beschreiblich Wunderbares, an die Stirn: „Das habe ich mir denn doch Plauderei von L. Heilborn-Körbitz. nicht gedacht — das ist ja ganz un¬ faßbar!“ — Und als das Licht nun wieder aufzuckte, da bekannte er weiter: „Ja, hören Sie mal — das ist doch vielleicht wirklich das größte Wunder unserer Tage — wie hier die Bewegung festgehalten wieder leben¬ dig wird, das ist ja wirklich ein „Festes, das in Geist zerrinnt“ und ein „Geisterzeugtes festbewahrt“ mit Goethe . . . Aber weiter kam er vorläufig nicht, denn nun rollte sich ein Trickfilm ab, eines jener gro¬ tesken Dingelchen, die allen Natur¬ gesetzen Hohn zu sprechen scheinen; wo Raum und Zeit einfach ausge¬ schaltet sind, wo ein „Leben von rückwärts, wie es Fechner poetisch träumte, immer wieder Tatsache wird.“ — Mein Kinogegner lachte der¬ maßen, daß es selbst dem lachlustigen Publikum zu viel wurde, und das wußte doch gar nicht mal, daß dieser Herr in der Reichshauptstadt für die Kinosieuer und also gegen das Lachen eine große Rede geschwungen hatte! Es sollte noch besser kommen. Der Hauptclou der Vorstellung war nämlich „Madeleine“, ein Drama aus der Kriegszeit 1870/71 (Deutsche Biosccp - Gesellschaft, Berlin). Ich hatte es bereits mehrmals gesehen und konnte es diesmal sozusagen streng kritisch genießen. So fiel es mir — ich kann ja diesen kleinen „lapsus“ in doppeltem Sinne hier ruhig nennen — denn also auf, daß dem preußischen Offizier im rührend¬ sten Moment, als er sich über die Leiche der erschossenen Geliebten beugt, die — Watte aus dem Ohre hing — und ich konnte ein unwill¬ kürliches Lachen nicht ganz unter¬ drücken. kam ich aber bei meinem Kinogegner schön an! Er, der mir all die Tage vorher davon gepredigt hatte, daß ein Kinodrama mit Kunst, im besonderen aber mit Literatur auch nicht das geringste gemein habe, er, der gar nicht genug darüber schmähen konnte, wie das Kino nur auf die niedrigsten Instinkte, mit den allergröbsten Mitteln noch dazu, wirke — er war so ehrlich ergriffen, daß er mich heftig anfuhr: „Wie kön¬ nen Sie bloß bei einer so ergreifen¬ den Szene lachen?!“ — „Nicht wahr, auch ein Kino¬ drama“, entgegnete ich, „kann, wie Sie eben an sich selbst empfunden haben, auf den literarisch gebildeten Menschen einen tiefen künstlerischen Eindruck machen?! Nicht wahr, wenn Sie vorher im Kino gewesen wären, mein hochverehrter Herr Stadtver¬ ordneter, Sie hätten schwerlich für die Kinosteuer gestimmt?!“ — Kino und Publikum — das ist ein Thema, über das sich unendlich viel sagen läßt. Wenn ich bedenke, wie oft ich einfache Leute zu Tränen ge¬ rührt vor solchem Drama sah, — wie oft ich Kinder in hellstes Entzücken ausbrechen hörte — über Films wie „Bubis Traum“ oder „Hansel ist ein Grobian“, — wenn ich mich des Ein¬ drucks erinnere, den die Vorführung so mancher Films auf das erlesenste Publikum der Reichshauptstadt macht. — Dann ist es mir unbegreif¬ lich, wie irgendwer den hohen kul¬ turellen, ja auch rein künstlerischen Wert des Films heute noch leugnen kann.