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URBAN QADeiner aus der PIONIERZEIT
er Mann, der vor einiger Zeit in Kopenhagen im Hause UpsaI: 18 starb, der Filmregisseur Urban Gad, war in einer entscheidenden Stunde der Filmgeschichte dazu ausersehen, für die Sache des Films Schicksal zu spielen: Der Film war damals, etwa 1909, in eine Sackgasse geraten. Anderthalb Jahrzehnte war es in einem ganz spaßigen Rummelplagstil recht und schlecht gegangen; viele waren an diesem Phänomen aus Licht und Schatten reich geworden, aber die Kunst hatte abseits gestanden: mochten Schauspieler, Autoren, Regisseure auf der einen Seite, Kritiker auf der anderen noch so zerstritten sein, — in einem Punkte waren sie einig: in der Verachtung des Films und seiner Welt trafen sie sich, hier reichten sie sich über alle Klüfte hinweg die Hände. Schauspieler, die um die Jahrhundertwende dennoch den Weg in das, was man damals Filmateliers nannte, gefunden hatten, mußten bald spüren, wie schicksalsschwer dieser Schritt für sie gewesen war: sie verfielen der Mißachtung »ihrer Kreise«, mindestens aber dem ‚Bedauern der Welt, der sie vormals angehörten und die sie nun verlassen hatten. Sie galten lange genug als Gestrandete. ; Zu der Zeit, als die Dinge so standen, sah der Schriftsteller Thomas Krag Asta Nielsen, eine junge Schauspielerin, auf einer Kopenhagener Bühne. Er galt als ein Filmnarr, — was immerhin seine gesellschaftliche Stellung bedrohen konnte. Aber er zeigte sich beherzt genug, die Frau mit den ausdrucksvollen Augen zum Film zu bekehren, — und auch der Regisseur Urban Gad (der Asta Nielsen heiratete) fand, daß hier ihre — und seine — Lebenschance lag. Er inszenierte mit Asta Nielsen in der Hauptrolle einen dreiaktigen Film, — im Zeitalter der Kurzdramen eine Sensation. Der Film hieß »Abgründe« und ging bald um die Welt. Film um Film verließ nun im. Zeichen dieser beiden Namen die Ateliers. Astas Name wurde ein Weltbegriff, Urban Gads Ruhm hielt sich in engeren Grenzen, — denn wer fügt schon den Namen des Autors und des Regisseurs seinem Gedächtnis ein? Die am Film stärker Interessierten aber wußten, daß dieser Mann in einer für die Entwicklung des Films bedeutsamen Stunde das Steuer herumgeworfen hatte: er hatte für die Kamera das Wunder des Menschengesichts recht eigentlich erst entdeckt. Er lehrte den Film sprechen, als der noch keine Sprache hatte. Er gab ihm in seinen Filmen eine stumme Sprache, die beredter und intensiver war als die der meisten Tonfilme nach
her. (Allerdings konnte er sich auf eine einmalige Künstlerin
verlassen.)
Sein Ruhm als Regisseur reichte über etwa anderthalb Jahrzehnte. Dann zog er sich aus den Filmateliers (Berlin hatte ihm einst die Chance des Aufstiegs gegeben) zurück. Das Zeitalter
des Tonfilms war seiner Handschrift und den künstlerischen Mit
Urban Gad (Foto: B. E. Lüthge-Archiv)
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teln Asta Nielsens nicht so recht zugänglich. Urban Gad und Asta Nielsen trennten sich menschlich und künstlerisch, beide aber waren in ihre Kopenhagener Heimat zurückgekehrt, die ihre verdienten Künstler auf eine praktische und zugleich rührende Art zu ehren pflegt: sie verleiht ihnen die Lizenz für ein Filmtheater. Urban Gads Lichtspielhaus, sein ihm verliehener »Orden« gleichsam, liegt am Rathausplag in Kopenhagen und führt den Namen CrandFheater Es gilt als ein Haus der künstlerischen Ambition, von seinem Leiter dazu gemacht.
Vor fast drei Jahrzehnten erschien Urban Gads damals als grundlegend angesehenes Buch »Der Film, seine Mittel — seine Ziele«. Es zeigt, daß er nicht nur ein Praktiker des Ateliers war, sondern ein Mann, der aus der gewonnenen Erfahrung eine Theorie zu entwickeln sich bestrebt zeigte, die er weiterreichen wollte. Damals ließen Säge wie diese aufhorchen: »Der Film ist ein so wichtiges Rad im Mechanismus der menschlichen Gesellschaft geworden, geistig wie materiell, daß es Zeit wird, seine Theorie
zu formen.« Und: »Es ist häufig darüber gestritten worden, ob
Film Kunst ist oder nicht. Sicher ist, daß er Kunst sein kann,
ebenso sicher, daß er es noch viel zu selten ist.« Diese Säte schrieb Urban Gad in seinem Buch vor drei Jahrzehnten. Sie klingen uns sehr einfach. Aber es ist nicht zu leugnen:
sie stehen noch heute zur Debatte...
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